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Preistraeger

Aus Big Brother Awards 2009

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Die Jury und das Publikum haben entschieden: die Big Brother Awards Austria 2009 gehen an ...


Business und Finanzen

Clemens Steiner, Geschäftsführer Tiger Lacke: Zufriedenheit durch Überwachung

"Im Sinne des Erhalts der Zufriedenheit der Belegschaft" und um "Verbesserungen frühzeitig durch geeignete Maßnahmen einleiten zu können" habe die Geschäftsführung des Welser Unternehmens Tiger Coatings "regelmäßig die Kommunikation mit den betreffenden Mitarbeitern gesucht". Dieser glanzpolierte O-Ton der Geschäftsführung hat zum weniger glatten Inhalt: Mitarbeiter wurden - natürlich stets "auf freiwilliger Basis" - systematisch vorgeladen und nach den Gründen für ihren Krankenstand befragt.

Um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter war die Geschäftsführung ebenso bemüht. Deshalb wurde in Hallen, Büros und Müllraum ein vernetztes System von rund 20 Kameras samt Aufzeichnungsanlage verdeckt installiert. Dies geschah, "um Arbeitsplätze zu sichern", zumal ein "existenzbedrohlicher Abgang von Pulverlacken" vorlag. Der stellte sich später laut Geschäftsführung als Irrtum der Buchhaltung heraus. Die Überwachung des E-Mail-Verkehrs war nur ein "Einzelfall", wie auch der Kameraexzess in den Büroräumen dem Übereifer eines nicht dazu autorisierten ehemaligen Mitarbeiters zuzuschreiben sei - so hieß es in wasserfestem Newspeak seitens der Geschäftsführung der Firma Tiger Lacke, die nicht zuletzt für die glitschigsten Ausreden seit Orwells Gedenken nominiert wird.


Politik

Die Landtagsabgeordeten Hirz, Wageneder und Schwarz [Grüne OÖ]: vom Internetsperrpopulismus angesteckt

Dass die beiden Großparteien, besonders dann, wenn sie ihre rechten Ränder verteidigen wollen, in heftige Populismen verfallen können, ist bekannt. Deswegen wurden Abgeordnete und Funktionäre dieser Parteien samt den "üblichen verdächtigen" Rechtspopulіsten in den vergangenen zehn Jahren bereits vielfach nominiert und ausgezeichnet. Nur die Grünen hatten zum Thema Informationstechnologie, Zensur und Überwachung bisher - und oft als einzige Partei - in der Regel Politik mit Augenmaß und Sachverstand betrieben.

2009 haben sich die Grünen erstmals populistisch angesteckt. Die drei Landtagsabgeordneten Gottfried Hirz (Klubobmann), Maria Wageneder und Ulrike Schwarz haben angesichts des Themas "Kampf gegen Kinderpornographie" allenfalls vorhandenen Sachverstand weggeschmissen. Mit allen 25 Abgeordneten der ÖVP und einem der SPÖ unterzeichneten sie namentlich eine Resolution, die von der Bundesregierung die dringende Einführung von Internet-Sperren forderte. Der gesamte Landtag stimmte dann dafür.

Schön langsam sollte sich auch in Landtagen herumgesprochen haben, wie unsinnig die Sperrung einer Website auf Basis der Domain-Namen in jedem einzelnen Land und bei jedem einzelnen Provider ist. Man sollte auch schön langsam wissen, dass sich derartige, öffentlich sichtbare Websites in der Regel nur auf gehackten Webservern und von Trojanern ferngesteuerten PCs ahnungsloser Eigentümer befinden.


Behörden und Verwaltung

Bundesministerium für Finanzen: Spendepflicht für Sozialversicherungsnummern

"Guten Tag bei der Spenden-Hotline von Licht ins Dunkel. Wir danken Ihnen herzlich für ihre Bereitschaft zu helfen. Unsere Mitarbeiter sind in Kürze für sie da. Bitte halten Sie Ihre E-Card bereit."

Dieses neue Szenario geht auf das Steuerreformgesetz 2009 des BM für Finanzen zurück, in dem es wörtlich heißt: "Ab dem Jahr 2011 muss die Spenderin/der Spender bei jeder Spende, die als Sonderausgabe absetzbar sein soll, dem Spendenempfänger ihre Versicherungsnummer bzw. ihre persönliche Kennnummer der Europäischen Krankenversicherungskarte bekannt geben."

Damit in Zukunft vielleicht der eine oder andere Steuerkleinhinterzieher erwischt wird, müssen alle Spender alle Sozialversicherungsnummern an alle beteiligten Banken sowie an alle Spendenorganisationen übermitteln.

Damit setzt sich das Bundesministerium für Finanzen über das E-Governmentgesetz hinweg, das in solchen Fällen ein nicht über Verwaltungsdatenbanken hinweg nachvollziehbares, bereichsspezifisches Personenkennzeichen vorschreibt.

Es werden also im Sinne eines "geregelten Steueraufkommens" bestehende Gesetze ignoriert und persönliche Gesundheitsdaten außerhalb des Gesundheitswesens mutwillig in Umlauf gebracht. Spendenwillige werden gezwungen mit ihrer Spende an karitative Organisationen beim notleidenden Bankensektor wenn schon nicht Geld, dann eben die wichtigste persönliche Kennzahl abzugeben, mit der sich andere personenbezogene Datensätze vor allem im Behörden- und Versicherungssektor sehr einfach verknüpfen lassen.


Die Jury hält zu dieser Kategorie fest, dass von allen Entscheidungen dieses Jahres diese die Schwerste war. Jeder einzelne Nominee hätte es mehr als verdient, den Preis entgegenzunehmen. Die schleichende Veränderung des Verhaltens im Alltag, die durch die Wiener-Wohnen-Waschküchen-Überwachung verursacht wird; die Erfassung von Verhaltens- und Krankheitsdaten von Kursteilnehmern; die Übergriffe eines Schuldirektors, der dabei offenbar überhaupt kein Unrechtsverständnis zeigt; das Anfordern von Gesundheitsdaten, um sie dem Schutz der ärztlichen Schweigepflicht zu entheben; ausnahmslos Fälle, die es mehr als verdienen würden, mit einem BB-Award ausgezeichnet zu werden. Unterm Strich war der dreiste Versuch des Gesetzgebers, ohne Scheu und scheinbar bewusst gegen gesetzlich formulierte Einschränkungen der Datenzusammenführung ein eigenes Süppchen zu kochen, der uns am meisten empört hat: ein würdiger Preisträger, aber in guter Gesellschaft ebenso skandalöser Fast-Preisträger.


Kommunikation und Marketing

Russell E. List-Perry: Geschäftsführung 123people.at

Der Service bezeichnet sich als Personensuchmaschine, im Suchfeld gibt man denn auch Vorname/Nachname ein. Dank eines "proprietären Suchalgorithmus" würden hier "personenbezogene Informationen", die aus Bildern, Videos, E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Extrakten aus verschiedenen, im Web bereits vorhandenen Profilen bestehen, aggregiert. Bei 123people kommt zu diesem Behufe angewandte "Schwarmintelligenz" zum Einsatz, heißt es auf der Website. Bei Personeņ, die ihre persönlichen Daten nicht so einfach hier und dort und überall eintragen, hat das zur Folge, dass der proprietäre Algorithmus ins Schleudern kommt und die "Schwarmintelligenz" Ergebnisse von gefährlicher Beliebigkeit in Form einer Tag Cloud ausspuckt. Personen werden willkürlich Parteien zugeordnet und Bilder falschen Personen, Personen werden verwechselt oder überhaupt neu erschaffen, indem Daten von mehreren Individuen zu einem Datensatz zusammengezogen werden. Überprüft wird von 123people.at ganz offensichtlich überhaupt nicht, was Suchalgorithmus und Schwarmintelligenz da an Profilen zusammenpfuschen. Unterstellt man dem Unternehmen nicht Unvermögen, sondern Methode, dann läuft alles auf eine Form von Nötigung hinaus, um an qualitativ hochwertige, weil richtige Datensätze zu gelangen: Es werden so lange dubiose bis falsche Angaben über eine Person verbreitet, bis diese Kontakt mit 123people aufnimmt und alle Daten richtigstellt.

Nur zur Erinnerung: Wer in Österreich personenbezogene Daten von Dritten bezieht und diese Daten verarbeitet, ist gesetzlich verpflichtet, ѕie zu überprüfen.


Publikumspreis

Peter Klugar, ÖBB-Chef: Erst überwachen, dann vertuschen

Die Aufrüstung der Bahnhöfe mit überdimensionierten, vernetzten Kamerasystemen, die mindestens 20 Millionen Euro teure Aufrüstung von hunderten Nahverkehrszügen mit Video-Aufzeichnungsanlagen waren nur die nach außen sichtbaren Symptome. Im Jahr 2009 kam heraus, dass der ÖBB-Konzern zur gleichen Zeit auch intern auf totale Überwachung setzte, die Frage der Legalität war sekundär. Systematisch wurden Krankenakten über Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angelegt, erst geschah das relativ offen durch ein entsprechendes Feld in der Personaldatenbank. Nach einem Einspruch des Betriebsrats gingen dieselben Praktiken auch unter dem neuen Vorstandsvorsitzenden Peter Klugar unverändert weiter, nur eben verdeckt.

Sehr schön in dieses unternehmenskulturelle Sittenbild passt da ein Leitfaden für den ÖBB-internen Gebrauch. Verschärfte Krankenstandskontrollen durch Detektivbüros sind da ebenso vorgesehen wie Tipps zur Befragung der Lebensgefährten von Beschäftigten mit langen Fehlzeiten. Als das durch Medienberichte bekannt wurde, hat das ÖBB-Management blitzschnell reagiert, um den Fall aus der Welt zu schaffen. Dies geschah nicht etwa durch eine genaue Untersuchung der Umstände und Verantwortlichkeiten, sondern durch das Tilgen aller Spuren. Laut Aussagen der ÖBB wurde die illegale Datensammlung gelöscht.


Lebenslanges Ärgernis

Wurde 2009 nicht vergeben.


Positivpreis "Defensor Libertatis"

Wurde 2009 nicht vergeben.


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